selbstreinigende Familien

Die letzte Woche war hier mal wieder Ausnahmezustand. Freitagabend: seltsame Pünktchen beim großen Schatz. Samstagmorgen: massig viele Pünktchen beim großen Schatz und Fieber. Samstagnacht: Quarantäne in der Kinderklinik. Sonntagmorgen: Diagnose „doch nur Scharlach“. Montagmorgen: Pünktchen und Fieber beim kleinen Schatz. Mittwochmorgen: Pünktchen und Fieber bei Papa Darling. Freitagmorgen: doch nicht Scharlach sondern Hand-Mund-Fuß-Krankheit…

Wenig Schlaf, viel Anspannung, Medikamente, viel Wäsche und vor allem (mal wieder) einfach alles andere liegen lassen, weil die Kraft für die Familie gebraucht wird.

Das Schwierige ist nicht der wenige Schlaf. Oder die Empfindlichkeit nach 60min Bauchwehschreien. Oder der Haushalt. Das Schwierige, ist das, was liegen bleibt, was sich türmt. Was ich so gerne abhaken und vergessen möchte und was ich vielleicht sogar unbeabsichtigt wirklich vergesse.

Die Woche habe ich bei Zeit-online den Artikel Geht alles gar nicht gelesen. Ich hab bisher nicht geguckt, wer die beiden Autoren sind und was sie sonst so treiben. Ich hab den Artikel an Papa Darling weiter gemailt und er fand ihn gut. Ich grundsätzlich auch. Ich fand ihn authentisch und familiennah, nicht wie sonst diese Artikel mit dem „Männer vs. Frauen“-Tenor. Und trotz dieser Familiennähe, die in dem Artikel klar ersichtlich ist, wird mit negativen Bewertungen um sich geschmissen. Wie eigentlich derzeit überall. Noch vor ein paar Jahren wurde alles schön-geredet, aktuell wird mal wieder alles in Grund und Boden gestampft. Familie ist super viel Stress aber auch Glück (was bleibt denn bitte bei dem Satz hängen?). Für eine Familie muss man auf alles verzichten, was vorher war, aber man hat auch viel Liebe. Karriere bleibt auf der Strecke, Sex bleibt auf der Strecke, Freizeit hat niemand mehr…

Ich kann verstehen, dass den ganzen Hochglanz-Eltern mit perfektem Kinderzimmer, fantastischer Frisur und den passenden praktisch-eleganten Kleidungsstücken etwas entgegengesetzt werden muss. Ich möchte auch nicht dauernd denken, dass alle anderen es besser können als ich. Und sicher ist es absolut gesund, sich mal ernsthaft (und vor allem so konstruktiv wie die beiden Herren Brost und Wefing es tun) auszukotzen.

Ja! Euer Mantra von Perfektion und all-in-one ist eine unfassbare Utopie!

Wie wärs denn mit einer Prise Selbstreflexion?

Ich hab mich noch nie beispielhaft ernähren können. Ich mag Obst und Gemüse, aber als Single hab ich häufig zwei Wochen lang von belegten Broten gelebt. Ohne Mangelerscheinungen. Ich habe viel Zeit vor dem TV gelegen, weil mir Vollzeitarbeit so viel abverlangt, dass ich keinen Nerv mehr hatte, mich abends nochmal unter Leute zu mischen (wurden ohnehin auch schlagartig weniger, seit ich mit der Vollzeitarbeit angefangen habe). Ich hab viel gechattet und im Internet gesurft. Ich war häufig sehr müde und hab eigentlich nur an den Wochenenden ab und zu mal was lustiges gemacht, wenn ich mit dem Putzen fertig war. Ich hab alle zwei Tage geduscht, mich täglich frisch angezogen. Und mit Partner wurde dann vieles davon zu zweit (nicht) gemacht.

Hier gab es nie ein Vorzeigeleben! Ja, in manchen Phasen ging Sport (Laufen und Yoga). In manchen Phasen ging viel draußen-sein. Als ich Theater gemacht habe, wurde viel getanzt. Sonst wurde eher gelesen…Wenn ich nie perfekt war, wieso sollte ich es jetzt sein?

Inzwischen leben hier mit mir ein Mann und zwei kleine Jungs. Und ich spüre diesen Perfektionsdruck. Unbelastete Kinderwäsche kaufen, Biogemüse, zwei Mal die Woche Fleisch sonst Gemüse, Haushalt, viel Obst, viel raus, Hygiene, Bewegung, Lachen, Spielen, Bilderbücher vorlesen, andere Kinder treffen sollen…öhm…genau…allein mit dem, was da oben steht, kann ich eine Vollzeitbeschäftigung plus Überstunden ausfüllen. Das kann nicht gehen. Schließlich kommen die wenigsten Eltern mit einem „ich hab zu viel Energie ich weiß nicht wohin damit“ in ihrer Elternrolle an. Und trotzdem rechnet keiner nach, ob diese Ansprüche (Empfehlungen von Experten) zu halten sind.

Ich tappe ständig in diese Anspruchsfalle und muss mich immer wieder bremsen. Loslassen-lernen betrifft nicht nur die Bindung zum Kind, sondern auch die Verbindung zu dem eigenen Anspruch.

Vielleicht muss unsere Generation einfach durch diesen Anspruchsfilter durch. Vielleicht müssen wir erst alles mögliche und unmögliche Wissen aufsaugen um es uns dann eines Morgens so gegen 2:30 Uhr selbst vor die Füße zu kotzen, wenn das Kind einfach nicht schlafen und auch nicht alleine sein möchte. Vielleicht ist das unsere Katharsis? Unsere Ablösung von Mutter-Wissen und unsere Hinwendung zum eigenen „Ich bin gut genug mit dem, was ich kann“?

Wenn das so ist, freue ich mich auf weitere hingekotzte Wut und unnötige Vergleiche mit anderen Generationen, über sinnleere Analysen und stressige Eltern-Kind-Kurse. Nehmt das vielfältige Wissen, folgt der Fahne und fragt Euch, warum ihr für den weiten Weg nur die Mitlese-Flipflops genommen habt und nicht die Wandertreter. Ich frag mich das auch…und mit jedem Nervenzusammenbruch verabschiede ich mich von einem Dogma und entlasse mich in die Freiheit.

Wir treffen uns dann da. Irgendwo auf einem kreisch-bunten Assi-Spielplatz mit einer Coladose in der Hand. Die Kinder toben über die hässliche aber schnelle Rutsche. Wir sitzen auf der Bank daneben, lesen per Smartphone bei Twitter mit und heben ab und zu die Sonnenbrille leicht an, weil die müden Augen durch die dunklen Gläser nicht alles scharf stellen. Wir reden nicht miteinander, denn wir wissen: wer Kinder hat, hat andere Prioritäten, muss nicht gut aussehen, muss sich nicht vernetzen, muss nicht immer freundlich sein, muss nicht aktiv teilnehmen…zumindest nicht, wenn die Nacht vorher zu kurz war. Was sie faktisch immer ist.

2 Antworten auf „selbstreinigende Familien

  1. Wir hatten die Hand-Mund-Fußkrankheit im Sommer. Den Gatten hat es schlimm erwischt. Seither schaut er alle Kinder in der Kita sehr kritisch an, ehe er sich nähert, also der Gatte. 😉
    Liebe Grüße, Momatka

    1. Selbsterhaltungsskepsis…hab heute mit einer anderen Krabbelstubenmama geredet. 1,20m Mindestabstand. Am Ende des Gesprächs erwähnte sie ihre Angina und ich meine kranken Männer zuhause. Distanz kann also sehr wohlmeinend sein. Hihi…
      Auf ein Neues,
      Minusch

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