unbezahlter Urlaub

den Begriff aus dem Titel habe ich diese Woche zum ersten Mal ausgesprochen gehört und selbst ausgesprochen. und je mehr ich daran rumdenke, desto mehr ärgert er mich. der Vorschlag an mich, unbezahlten Urlaub zu nehmen, entspringe der Sorge, mir ginge es nicht gut. ich sei zu oft krank, das falle einfach auf, danach müsse man schauen.

Menschen die mich kennen, wissen, wie ich solche Sätze analysiere. aber diese Analyse ist echt schwer in Gegenwart des Menschen, der Dich eingestellt hat.

unbezahlter Urlaub. ich kannte den Begriff schon vorher. er ist ja nun auch nicht so schwer zu verstehen. Du darfst eine mit dem Arbeitgeber abgestimmte Zeit lang nicht arbeiten, kriegst aber auch kein Geld. Du behältst Dein Arbeitsverhältnis, kannst aber eigentlich keine Transferleistungen beantragen, sollte Dein Vermögen nicht zufällig ausreichen, um mal eben 6 Monate beispielsweise davon zu leben. wie es mit Krankenkassenbeiträgen aussieht, habe ich mir mal gespart zu googeln.

es hat was von dem bekannten Lolli, der Dir vor die Nase gehalten wird: hier, schau mal, ich sehe Dich und sorge mich UND WENN DU DAS HINKRIEGST, dann gebe ich Dir das Ok. ich bin da locker und großzügig und Du liegst mir am Herzen.

als Vollzeit-Leitung so etwas zu einer Alleinerziehenden in Teilzeit zu sagen, hat…na, sagen wir: ein G’schmäckle.

und da muss ich nicht mal irgendwas unterstellen. also, nicht mehr als ne ziemlich dicke Portion nicht-Kenntnis meiner Lebenswirklichkeit. also, wenn ich erzähle, dass ich erschöpft bin, weil meine Zeit hinten und vorne nicht zu reichen scheint, um das aufzuarbeiten, was ich regeln muss, hört er vielleicht:

-hm, mit der richtigen Struktur würde es sicher gehen, aber sie kennt sie noch nicht.
-sie ist bestimmt schon beinah fast depressiv.
-irgendwas macht sie falsch, meine Frau schafft das doch auch.
-ja, ich versteh das schon, sie ist erschöpft, klar, aber ich hab hier ja auch einen Qualitätssicherungsauftrag und kranke Mitarbeitende arbeiten nunmal nicht gut…(sic!).
-ich hatte schon an anderer Stelle jemanden, der wegen Depression 1 Jahr ausgefallen ist. bitte nicht wieder dieser Hickhack!
-die muss sich echt Hilfe holen. pronto! vielleicht hilft etwas Druck?…

ich hab keine Ahnung, was da wirklich im Kopf los war. ich kann das Beste unterstellen und gerate trotzdem immer wieder an Punkte, die einfach nichts mit mir zu tun haben, aber nun mit mir verknüpft wurden. ich solle mich mal um eine Kur kümmern. aber wirklich drum kümmern jetzt! also, ist das eine sinnvolle Aufgabe für jemanden, der eh nie mit seinem Kram fertig wird? sich aber wirklich drum kümmern jetzt? und so früh wie möglich? ich, meine: hat der schonmal mit der Krankenkasse zu tun gehabt?

apropos Krankenkasse: meine Krankmeldung ist postalisch verloren gegangen (eine Briefmarke ist ja auch kein Beförderungsentgeld sondern eine Zustellungswahrscheinlichkeitserhöhung). er habe nun keine AU vorliegen, daher müsse er mich abmahnen. Griff unter den Tisch und Abmahnung in Klarsichthülle in der Hand und auf den Tisch. dass ein Anruf bei der Krankenkasse gereicht hätte, um selbst rauszukriegen, ob ich tatsächlich keine AU habe, kam niemanden in den Sinn. inzwischen sei die Abmahnung geshreddert, weil ich nach einem 5minütigen Gespräch mit der Fachabteilung der Krankenkasse inklusive Warten auf Sendebestätigung des Fax an unsere Personalabteilung belegen konnte, dass nicht ich das verbockt habe. naja. mein Vertrauen ist dann auch mal futsch. kann ja mal passieren. niemand ist perfekt…oh, wait…

was mache ich nun?

ich werde keinen unbezahlten Urlaub nehmen. dafür bin ich leider zu risikoscheu. ob mir das so negativ ausgelegt wird wie meine Ablehnung der betrieblichen Eingliederung?

„wir hatte Dir BEM angeboten und DU hast es abgelehnt“
-„öhm, ja in Zusammenarbeit mit der Beraterin bin ich zu dem Schluss gekommen, dass meine Schwierigkeiten nicht damit behoben werden können. ich brauche ja keine besonderen Sitzmöglichkeiten, meine Arbeitsbedingungen sind ok, mein Team mobbt mich nicht und über die Arbeitszeitreduzierung kann ich mit Dir ja auch so sprechen.“
„vielleicht hätte es Dir geholfen.“
-„ich denke nicht…“
„….“
-„….“

Klassiker.

ich melde mich krank, wenn ich krank bin (zu viel). ich lehne eine Hilfe ab, die mir nichts bringt (unkooperativ). ich lasse die Post Krankmeldungen verlieren und merke das nicht mal selber (verantwortungslos). meine Arbeit mit dem Kind leidet unter meiner Belastung (ich melde mich ja extra krank, damit das nicht passiert und bisher geht es ihm auch gut, wenn ich mal nicht da bin, aber: Qualitätssicherungsmäßig einfach schwach).

„Minusch, Du weißt, dass wir uns Sorgen machen“, ein Satz der grundsätzlich etwas einleitet, was ich einfach nicht will. zum Beispiel unbezahlten Urlaub. der aber larviert, das mein Gegenüber eine Machtposition auszuspielen gedenkt.

vielleicht hätte ich ihm autogenes Training empfehlen sollen, um mit seinen Sorgen umgehen zu können. oder eine Gesprächstherapie. Menschen, die sich Sorgen machen, haben kein Vertrauen in die Kommunikation mit dem Menschen. Eltern sorgen sich beispielsweise oft, wenn ihr Kind nicht mit ihnen redet. Klassiker. oder HaustierbesitzerInnen. die sorgen sich auch um ihre Tiere, wenn diese ihr Verhalten ändern und „sie kennen das ja so nicht“.

viel eleganter als die Sorge eines Vorgesetzten für seine Mitarbeiter wäre doch ein offenes Gesprächsangebot: ok, ich seh Deine Krankmeldungen, ich kenne Deine Geschichte. lass mal sehen, ob ich von Arbeitgeberseite aus was für Dich tun kann.

so etwas hätte mich sehr gefreut. ich hätte die Arbeitszeitreduzierung erwähnt und den Wunsch, meine 70 Überstunden (Disclaimer: ich habe einen 18,5h-Vertrag) abbauen zu dürfen. ich hätte gefragt, ob ich vielleicht die 70 Überstunden an die Sommerferien anhängen könnte, um einen möglichst langen Zeitraum am Stück frei zu haben und ob es die Möglichkeit gäbe, in der Zeit dennoch zu den Teamsitzungen ein Mal die Woche zu kommen, um in Kontakt zu bleiben und bei den Fallbesprechungen zu helfen. ich hätte gefragt, ob mein Arbeitgeber Lust hätte, mich dabei zu unterstützen, ein Buch zu schreiben. oder ob ich eine Strukturierung unserer bisher ungeregelten Arbeit als Teilhabeassistenzen vornehmen könnte. ob ich nicht versuchen könnte, ein Netzwerk aufzubauen, dass Schulen und Anbietern dieser Dienstleistungen einen gemeinsamen Diskurs ermöglicht…

stattdessen surfe ich Kur-Kliniken durch und frage mich, ob ich das so will.

ja, klar, ich kann meine Vorschläge noch immer machen. es ist nur…naja…da ist etwas verloren gegangen. das muss ich wohl erstmal betrauern. und dann steht der Entwicklungsbericht an. und dann die Ferien. tja, voilá, Hamsterrad.

meine Frage an der Stelle wäre: warum Arbeitgeber nicht darauf vorbereitet, dass bei ihnen Menschen arbeiten und dass es diesen Menschen nicht gut geht und dass diese Menschen gerade dann Loyalität und Vertrauen brauchen? ja, klar, viele Leute „können“ nicht klar sagen, wo es hängt. allerdings behaupte ich, dass sie es eher nicht wollen, weil sie wissen, wie es dann ausgelegt wird. und so verschrauben wir uns in seltsam unnützen StellvertreterInnengesprächen und das, was wirklich ist, bleibt verborgen, bis es Scham ansetzt.

wir werden sehen, nicht wahr? der Weg entsteht beim gehen und ist das Ziel und Happines is the way und blablabla. ich werde weiter arbeiten. und Kurkliniken angucken und die Krankenkasse anrufen und meine Steuererklärung machen und Rentenzeiten nachreichen und auf Post vom Exvermieter warten und kochen und waschen und Spiele spielen und vielleicht ein wenig genießen, dass ich Lust auf Flirten habe. well, the simple things matter.

allez,

Minusch

2 Antworten auf „unbezahlter Urlaub

  1. Dir wurde unbezahlter Urlaub angeboten? Das ärgert mich ja schon beim Lesen, denn ja, es gibt unbezahlten Urlaub theoretisch, aber die Frage sollte immer von Arbeitnehmerseite ausgehen, finde ich. Die wenigsten Menschen können/wollen sich unbezahlt frei nehmen (Klingt ja nett, aber wovon soll man dann leben?) – das Angebot bringt einen also in ein seltsames Gedankenkarussell und das ist irgendwie unfair.

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