wovon ich rede

Todestag, 8. Geburtstag, Ostern, 7. Geburtstag…diese Reihung hat in sich was symptomatisches. und das alles innerhalb von zwei Wochen ist wirklich deftig. und dann noch Corona-Kontaktverbote.

natürlich war am Abend des 7. Geburtstages mein vorherrschendes Gefühl „Erleichterung“. jede*r kann das verstehen, nehme ich an. unsere Hauptspannung war ja Ostern schon kollabiert und hat sich in einer Menge wütender Tränen verflüssigt. dann noch der Geburtstag des zweiten Kindes. auch unter Corona-Auflagen, mit vielen Geschenken und hohen Erwartungen und der filigranen Balance auf dem kindlichen Gemütsvulkan. nein, normalerweise ist der junge Mann gar nicht so aufbrausend. aber die Corona-Anti-Routine, kostet ihn wahrscheinlich am meisten Kraft, weil er den von uns größten aktiven sozialen Radius hat.
dieser sozialen Krieger und Freundefinder. der Jungen, der Erfolge so sehr genießt, wie niemand sonst aus unserer Familie. der auf eine unfassbar charmante Art aufblüht, wenn ihm etwas gelingt. und der stets dafür sorgt, dass seine guten Taten auch wahrgenommen werden. auch das charmant und sehr liebevoll.

beiden seiner Brüder habe ich umfassende Blogtexte gewidmet. und er flechtet sich wie immer in meinen Alltag mit all meinen Themen und duldet neben sich eine Menge gleichgewichtiger Entitäten. er kann das. er hat das raus. er ist der wahrscheinlich beste Teamplayer von uns beiden…und der, der mit dem Vater, seine Hauptbezugsperson verloren hatte. er musste sich umgewöhnen und er hat es geschafft. auf einer rein körperlichen Ebene hat dieser wundervolle Mensch seinen Fokus verschoben und lebt jetzt in einem unglaublichen Verhältnis von Nähe und Distanz zu allen, die ihm etwas bedeuten.

und er leidet jetzt darunter, dass seine Strategien so versickern. dass sich seine Bedürfnisse nach Kräftemessen mit dem großen (und völlig anders interessierten) Bruder erschöpfen müssen, obwohl doch so viel mehr denkbar ist.

mein Kind, diese erstaunliche Kombination aus Akzeptanz für Oberflächlichkeit und Feingefühl für Tiefe, kuratiert sich jeden Tag neu und besteht vor den anderen Kindern seines Umfeldes ausnahmslos. und ich staune, wie gut er seine Möglichkeiten einschätzen und Risiken abwägen kann. wie er auf andere zugeht und wie er um Kontakt ringt. er ist derjenige, der seine Freunde anruft. für ihn habe ich die Festnetznummern seiner Freunde ins Telefon gespeichert. für ihn habe ich gerade ein Tablet angeschafft, damit er Minecraft mit seinem Zocker-Zucker-Freund im Multiplayermodus spielen kann. der Freund, den wir nicht treffen können, weil ich es nur wage, mich mit einer Familie zu eng zu verbinden, dass Treffen möglich sind, und diese Familie ist eben eine andere.

manchmal erwischt mich ein Gedanke des Bedauerns, weil ich die Prioritäten nicht gerecht verteilen kann. es gelingt buchstäblich nie. und er, als der sportliche Teamplayer, beansprucht mich tagsüber am wenigsten. dafür nachts. das ist mein Ausgleich, denke ich. ich lasse das zu, so gut ich es kann. das ändert nichts an dem täglichen Missverhältnis. aber: mein Kind ist glücklich. er spürt, was er spüren muss und wenn es zu arg wird, zeigt er es mir und dann kann ich reagieren und halten und zusprechen und Wolken wegpusten. reicht das? da sein, wenn er mich ruft?

wir leben so. nun seit 4 Jahren. ich reagiere auf die Zeichen und fange die Bälle und staple den Status Quo immer wieder neu. jede Lebenslage verlangt uns einen neuen Routinen-Aufbau ab und ich kann förmlich hören, wie erleichtert meine Kinder sind, wenn etwas auftaucht, was sie schon kennen und was keine neue Gesetzgebung erfordert. der Adventskalender. Geburtstage. Schwimmbadbesuche. das Hoffest unserer Freunde. Weihnachten. mir geht es ganz genau so. und genau darin liegt aktuell die größte Last: das, was wir am Frühling kennen und lieben, ist nicht das, was wir leichten Herzens tun können. und vor allem: werden uns die neuen Corona-Routinen überhaupt bleiben?

ab nächster Woche muss ich nach 6 Wochen zuhause wieder längere Zeit in die Schule. diese Wochen waren meine Büro-Besuche und die kurzen Fahrten zu Gesprächen neu. nächste Woche fehle ich zwei ganze Vormittage. wir sprechen darüber und die Kinder sind zuversichtlich. aber die zarte Balance, die wir jetzt endlich wieder haben nach 2 Wochen Isolation, Geburtstags-Oster-Marathon und zurück in die Schularbeit zuhause, wird wieder zerrissen. natürlich schaffen wir das. klar. hinter uns liegen ganz andere Hürden und Herausforderungen. aber das, woraus wir unsere Kraft ziehen, ist der Alltag, den wir sorgfältig zusammen gepatchworked hatten. wir erfinden jeden Tag das Rad unserer Familie neu und handeln entgegen jeder vernünftigen Herzensempfehlung. anstatt uns mit denen zu umgeben, die wir lieben, meiden wir genau diese Menschen! wie absurd und ekelhaft! Lebensmittel werden teurer, jede Ausnahme kostet mehr als vorher, weil ich es nicht übers Herz bringe, Lieferant*innen mit einem regulären Trinkgeld anzuspeisen. ich will mich bedanken für ihren Mut. möchte nicht einfach nur mit etwas beschenkt werden, sondern tauschen, gegen etwas, was ich anbieten kann. nur. gerade jetzt ist das so unfassbar wenig.

meine Hoffnung in diesem Text ist, dass sich Familien darin wieder finden und sehen, dass in ihrem Alltag etwas Kraft raubt, was vielleicht nicht selbst so benannt werden hätte können. mir wurde so oft geschrieben, dass es gut sei, meinen Selbstanalysen zu folgen, weil sich darin Worte für eigene Konflikte finden ließen. das möchte ich auch mit diesem Text schaffen. ich möchte schaffen, dass Menschen die Scham loslassen. Mütter vor allem. Frauen, die sich kaum trauen, sich scheiße zu fühlen, weil sie doch eigentlich alles haben. gerade jetzt. ihr Lieben: nein, haben wir nicht. selbst wenn uns vielleicht eine grundlegende wirtschaftliche Sorge erspart bleibt, sind wir plötzlich gezwungen, entgegen dem zu handeln, was für uns und unsere Kinder richtig wäre. und das zu einem Großteil noch im Schraubstock der Erwerbsarbeit. weil unsere Arbeitgeber unsere Arbeit brauchen, um bestehen zu können, müssen wir vielleicht unsere Kinder einem Risiko aussetzen, ohne es zu wollen. wir müssen die Großeltern alleine lassen. wir müssen die Kinder in dieser künstlich erzeugten Einsamkeit auffangen und ertragen, dass es uns genauso geht. wir haben keine Abkürzungen mehr außer Medienberieslung. und was diese Berieslung angeht, wird die Gesellschaft ja nach wie vor nicht müde, zu erwähnen, wie unfassbar schlecht das für unsere Kinder ist (Spoiler: das ist keineswegs belegt). das, was wir also ohnehin schon falsch machen, wird gerade potenziert. und dann lesen wir von milliardenschweren Entlastungen für die Wirtschaft und sind nicht mitgemeint. dann gibt es Almosen für die Armen, zwischen Mittelstand und Hartz IV, aber diese Fenster sind jetzt auch nicht direkt üppig weit geöffnet. dann öffnen Schulen zum Teil. und für den Rest gibt es bei Anspruch Notbetreuung, aber was bedeutet es, wenn ich meine Kinder mit 15 anderen in die Notbetreuung schicke aber nicht mit ihren Freunden spielen lasse, weil eben deren Eltern nicht meinen Zugang zur Notbetreuung haben und deren Kinder dort eben nicht hingehen dürfen? was bedeutet es für meine Kinder, mit fremden Kindern spielen zu dürfen, aber nicht mit denen, die sie vermissen? und was bedeutet es für mich?

ich habe keine Antworten. ich habe eine basale Sehnsucht nach einem Bedingungslosen Grundeinkommen, dass mich und meine Kinder ein für alle Mal aus diesem Bittstellerinnenstatus rausholen würde. ich wünsche mir Herzensruhe für alle Mamas, die hier mitlesen (in Papas kann ich mich nicht einfühlen…) und einen Zugang zur eigenen Selbstgewissheit. selbst wenn wir scheinbar nichts gebacken bekommen, erhalten wir gerade unsere kleinen Systeme und schützen durch die Wahrnehmung dieser Erschöpfung unsere Kinder doch am meisten. weil wir echt sind und aufrichtig und direkt. weil wir nachvollziehbar sind. spürbar. weil wir zulassen, dass unsere Kinder diese Zeit mit uns teilen und von uns lernen. weil das eine verdammte Ausnahmesituation ist und alle in der Familie Raum für ihre destruktiven 5-500min brauchen. weil wir keine Traumschlösser ans Wolkenkuckucksheim anbauen sondern unser Leben gestalten. so, wie wir sind.

wie sagt meine Lieblings-Yoga-Lehrerin Eva Karel: „wir verneigen uns in Liebe und Humor vor uns selbst“

macht das ruhig. verneigt Euch vor Euch selbst. ihr verdient es. davon ich bin ich überzeugt.

Liefs,

Minusch

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