systemelefant

ich ringe um Worte. um Bilder. ich kämpfe gegen Gefühle und für Gefühle auch! ich war lange nicht mehr so neidisch, wie ich es gerade bin.
ich wähnte mich auf der sicheren Seite, als ich annahm, dass ich, solange die Schulen geschlossen sind, von zuhause aus arbeiten darf. also: primär Mehrarbeit abbauen, aber eben von zuhause aus. nun, das ist jetzt nicht mehr so und bin in eine Krise geraten, die gar nicht von jeder*m verstanden werden kann, denn:

scheiße nochmal, sind wir alle unterschiedlich!

ich versuche, meine Schwierigkeiten zu umreißen, ok? ok…also da wäre als erstes #wirbleibenzuhause vs. „Minusch schickt ihre 2 Kinder in die Notbetreuung um selbst in einer anderen Notbetreuung 1 Kind zu begleiten“. dass Begleitung notwendig ist, leuchtet mir direkt ein! keine Frage! nur: wasn das für ne blöde Rechnung? meine Tandem-Kollegin macht dieselbe Rechnung auf. mit 3 Kindern. well…da bleibt ein mulmiges Gefühl, weil insgesamt 7 Menschen mehr Risiko auf sich nehmen müssen, damit ein Kind begleitet werden kann.

andererseits ist das Kind auch ein Kind in einer (gut vernetzwerkten) Ein-Elter-Familie. ich bin da supersolidarisch und meine: yeah! dafür wurde ich ausgebildet! ich unterstütze das Kind, damit es ihm gut geht und hab einen Blick auf die Familie, damit das alles auch so bleibt! mach ich super gern!

aber genauso gern schaue ich auf meine Kinder. die haben in ihrem Leben beide etwas einstecken müssen, was ich ihnen gerne erspart hätte. und sie haben gerade erst erklärt bekommen, dass, solange Corona so unterwegs ist, Papa eben gar nicht kommt, weil er Angst vor Ansteckung hat. aha. der Vater kann, privat, entscheiden, sich nicht um seine Kinder zu kümmern. ich kann beruflich nicht entscheiden, dass ich mich um meine Kinder kümmern will. in welchem Universum ist das denn fair??

ja, zwei Vormittage (vorerst) sind nicht viel. wir sprechen von insgesamt 10h. da bleiben (vorerst) drei Vormittage, an denen ich zuhause sein und beim Homeschooling helfen kann (Mamaaaaa, wie melde ich mich bei Anton an? Mamaaaaa, das Video lädt nicht! Mamaaaaaa, ich versteh die Aufgabe nicht! Mamaaaaa, mein Kleber ist weg!….tbc). und trotzdem fallen diese Infos nicht auf meinen ansonsten für Vernunft recht fruchtbaren Boden. ich hatte noch nie eine Krise, innerhalb derer ich mich so gefühlt habe. so ohnmächtig. so übersehen. ich will ja stark sein, aber vor allem will ich das erstmal für meine Kinder und mich und dann für den Job und das war die letzten Wochen auch möglich (naja, für die Osterferien hatte ich ohnehin Urlaub eingereicht). und jetzt verlasse ich diese neugewonnene Routine für eine Aufgabe, die mir einleuchtet, mich aber nicht überzeugt.

warum?

weil es nichts mehr gibt, wohinter ich mich verstecken kann. weil es niemanden gibt, der/die sich vor mich stellt. meine Hausärztin benannte das ganz pragmatisch als „kein medizinisches Problem“ und sie hat vollkommen recht. das ist kein medizinisches Problem. es ist eine krude Mischung aus Ethik, feministischer Perspektive und Care-Revolution! gäbe es das Bedingungslose Grundeinkommen, ich würde sagen, ich nehm unbezahlten Urlaub! ich würde zuhause bleiben. glasklar! würde ich als alleinerziehende Mutter in meiner ganzen Fähigkeit, dieses Leben für meine Kinder angemessen zu gestallten, EGAL WAS KOMMT, gesehen werden, würde die Gesellschaft vielleicht freiwillig alleinerziehende Frauen freistellen, weil sie halt eben aufgrund der verdammt schlechten Energie-Bilanz zur Risikogruppe gehören! weil es unter solchen Bedingungen wohl ne beschissene Frage wäre, wo die Kinder hin sollen, wenn Mama ins Krankenhaus muss (zu Oma und Opa (65/70)? oder zu einer befreundeten Familie ohne Rückzugsmöglichkeiten weil es an Platz fehlt? in die Inobhutnahme? zu dem 350km-entfernten und so gar nicht präsenten Vater?)

gleichzeitig ahne ich, wieviele Kinder in die Notbetreuungen müssen, weil deren Eltern in Krankenhäusern oder Supermärkten arbeiten. die betreffenden Eltern haben vielleicht ähnliche Gedanken und hoffentlich passende Ventile oder auch nicht und vielleicht aber ebenso das Gefühl, irgendwie menschlich irrelevant zu sein. Berufsethos hin oder her.

ich mach mich ein wegen zwei Mal 5h Notbetreuung an der Gesamtschule und andere arbeiten 12h-Schichten auf der Corvid-19-Station. bin ich egoistisch? unsolidarisch? übervorsichtig? scheiße?

ich würde gern schreiben „ich bin einfach nur ich“, aber natürlich lehne ich mich rational und emotional an andere an. natürlich registriere ich dieses kurze Erschrecken der Klassenlehrerin, als sie hört, dass ich arbeiten gehen werde: „oh, aber Sie sind doch alleinerziehend…“ wenn ich diesen Alltags-Status jetzt in Rechnung stelle (ich bin chronisch nicht erholt und meinen Urlaub nutze ich nicht für Recreation sondern für die Bespaßung meiner Kinder. und der Erzeuger der beiden hält sich überall sauber raus) ist das fair oder billig? realistisch oder arrogant? schließlich gehts ja auch anderen Menschen im not-Corona-Alltag nicht so pralle. kriegen die auch ne Befreiung? „Sie haben Alltagslasten, die das Durchschnittsmaß überschreiten? Sie sind entschuldigt“.

ich wünschte, die Notbetreuung wäre nicht für Alleinerziehende geöffnet worden…

rein körperlich haben wir die Risikogruppe grob umrissen. die wirtschaftliche Risikogruppe ist auch schnell definiert, denke ich. seelisch könnten wir das eigentlich auch mal machen.

so machen wir es uns Zuhause schön! 20 gute Ideen für die Zeit zuhause! check you after-corona-body! Balkonzeit: Selbstversorger sind im Vorteil! Erfolgreich lernen: die besten Tricks hier bei uns! Du brauchst noch was zu lesen? Unsere Redakteur*innen haben Dir eine Corona-Leseliste zusammengestellt!

sorry, aber kann ich vielleicht wieder in das Paralleluniversum da drüben? wenigstens, bis der Impfstoff da ist. es war so schön, mich mal eine Weile normal zu fühlen.

…und vielleicht liegt genau darin gerade auch mein größter und tiefster Schmerz.

Liefs,
Minusch

2 Antworten auf „systemelefant

  1. Liebe Minush,
    ich lese gern Ihre Texte.
    Ich bin in ähnlicher Situation und kann Ihre Not nachvollziehen.
    Übrigens kommt man schnell in die Situation , komplett überlastet zu sein: ICD F43.2, Anpassungsstörung.
    Bleiben Sie stark! Herzliche Grüße

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